40 Jahre Karate Dojo-Winsen: Ein ganz persönlicher Rückblick
Der 06.10.1984 war ein Samstag, der sich wettermäßig norddeutschland-typisch grau mit etwas Nieselregen bei rund 11 Grad Celsius präsentierte. Also ein Tag, den man heute gemütlich auf dem Sofa
verbringen würde, um einen guten Film zu streamen. Aber davon waren wir 1984 natürlich noch ganz weit entfernt. Smartphones und Digitalisierung kamen damals höchsten in Science-Fiktion-Filmen
vor.
Ein Mann namens Helmut Kohl war unser Bundeskanzler. Der ehemalige Hollywood-Schauspieler Ronald Reagan war Präsident von Amerika. Es gab noch zwei deutsche Staaten auf der Landkarte, die erst
sechs Jahre später zu einem Deutschland wiedervereinigt werden sollten.
Zu Songs wie „Big in Japan“ von Alphaville oder „1000 und 1 Nacht“ von Klaus Lage, tanzten wir Jungs in Großraum-Discotheken, gekleidet in Jeans-Jacken mit jungen Mädchen , die hautenge Leggings
und Stulpen (die sie sonst beim Aereobic benutzen) oder kurze Röcke trugen und dazu Jacken mit riesigen Schulterpolster an hatten, durch die Nächte.
Oder wir gingen gemeinsam ins Kino um Filme wie Flash-Dance, Dirty-Dancing (das war dann mehr für die „Mädchen“ gedacht) oder eben Karate-Kid anzusehen.
Ja, bei machen von uns hatte der letztgenannte Filme „die Saat gesät“: Karate, diese in Deutschland bis dahin nur von wenigen Insidern betriebene Kampfkunst, wurde durch solche Filme populär. Wer
wollte als junger Kerl nicht cool sein. Das war einer der möglichen Wege eine coole Sau zu werden, dachten sicherlich nicht wenige meiner Boomer- Generation, die damals natürlich noch nicht
diesen Namen trug.
Da passte es nur zu gut, dass sich einer dieser Kampfkunstanhänger ins beschauliche Winsen/Luhe verirrt hatte und dann noch auf die Idee gekommen war, in einem Sportverein (damals MTV Winsen/L)
Interessierten Einblicke in diese Kampfkunst anzubieten. Ja, wie toll war das denn!
Also trieb es viele von uns an diesem verregneten, kalten Samstag-Vormittag, in die „alte MTV-Halle“. Hier sollte eine Karate-Vorführung stattfinden, die Interessierten einen ersten Eindruck
davon verschaffen sollte, was sie zukünftig erwarten sollte, wenn sie sich tatsächlich dazu entschließen sollten sich auf den „Weg der leeren Hand“ (Karate Do) begeben würden. Das dieser Weg sehr
lang und beschwerlich sein würde, sollte vielen von uns wenig später klar werden.
Zugegebenermaßen war ich in dieser Richtung schon etwas vorbelastet:
Bereits 1983 hatte ich meine Karate-Karriere in einem anderen Verein begonnen. Dort begegnete ich dem späteren Gründer unserer heutigen Dojos, Peter Schmidt, das erste Mal. Als er von Hamburg
nach Winsen zog, trainierte er dort weiter, wo ich auch war. Nach einem knappen halben Jahr entschied er sich dann eine eigene entsprechende Abteilung im MTV zu gründen. Da ich davon Wind
bekommen hatte, ging ich also „fremd“, als ich mit einem Freund, der ebenfalls Karate trainierte, am 06.10.1984 in der alten MTV-Halle auftauchte, um zu sehen, was da abgehen sollte.
Diese Turnhalle wirkte auf einen Besucher wie eine Zeitmaschine. Wenn man sie betrat, wurde man sofort gefühlt in das Jahr 1915 versetzt. Parkettboden, eine komplette hölzerne Innenverkleidung,
alte Sprossen-Fenster, an allen vier Ecken Stützbalken aus Holz. An den Seiten aufgestellt die Turngeräte mit entsprechender Patina: Barren, Kästen, Holzbänke. Einzig die nachträglich in den
Umziehkabinen installierten Duschen hielten einen davon ab, gleich zu erwarten, dass Turnvater Jahn im schwarzen Trikot und mit „Kaiser-Wilhelm-Bart“ strammen Schrittes um die Ecke kommt.
Genau kann ich mich leider nicht mehr erinnern, aber so um die fünfzehn bis zwanzig interessierten Jungen und Mädchen waren vor Ort und machten sich es auf den harten Bänken am Hallenrand so gut
wie möglich bequem, um sich die Karate-Vorführung anzuschauen.
Peter hatte dazu ein paar Sportkameraden aus seinem alten Hamburger Verein eingeladen. Es wurde das obligatorische Warmmachen gezeigt sowie die Grundschule (Kihon), in der man die einzelnen
Techniken trainiert sowie das Partner-Training (Kumite) in der gelernt wird wie man Angriffe abwehrt und kontert sowie die dritte Disziplin Kata (ein Kampf gegen mehrere imaginäre Gegner, bei dem
bestimmte Abwehr- und Kontertechniken in einer festgelegten Reihenfolge vorgegeben sind).
Dieser Samstag sollte für viele von uns nicht ohne Folgen bleiben, denn die Mehrzahl kam zu ersten offiziellen Training wieder und einige davon sind dieser Kampfkunst tatsächlich bis heute über
Jahrzehnte treu geblieben – denn der Weg der leeren Hand endet nie.
Kálmán Györy
von Peter Schmidt Dojogründer
1984 trainierte ich in Hamburg zweimal in der Woche Doppelstunden; erst Judo und im Anschluss Karate. Meine Frau Ingrid (als treibende Kraft im Hintergrund) schlug
mir immer häufiger vor, in Winsen ein Dojo zu gründen.
Also ging ich zum SV/MTV (heute TSV Winsen) und fragte, ob dort Interesse an einer neuen Abteilung "Karate" bestünde. Ich rannte "offene Türen" ein.
Am 6.10.1984 war es dann so weit: Mit ein paar hamburger Karateka veranstalteten wir in der alten Turnhalle des SV/MTVeine Vorführung.
Auf dem Weg zu dieser Veranstaltung war ich tierisch aufgeregt und dachte immer wieder: "Was machst du, wenn gar kein Zuschauer kommt.?"
Schon die Werbung in der Zeitung unter der Überschrift "Was Bruc Lee kann...", hatte mich nervös gemacht.
Alle Aufregung war umsonst, die kleine Veranstaltung war gut besucht und alles klappte wie geschmiert. Die Zuschauer konnten sich hinterher bei mir informieren und
alles erfragen, was sie interessierte. Vorrangig war die Frage, wann ist das Training. Ich gab natürlich gern und ganz cool Auskunft.
Die Tage bis zum ersten Training am 8.10.1984 dachte ich dauernd, wie es wohl wird und hoffentlich kommt überhaupt jemand. Zu Hause war das Thema ständig präsent
und meine Frau Ingrid beruhigte mich immer wieder: "Du machst das schon, so karateverrückt wie du bist, kann es nur ein Erfolg werden."
Trotzdem..... wenn nun keiner kommt oder nur einer oder..
Der Tag X kam und ich hatte morgens schon Flugzeuge im Bauch. Nach der Arbeit schnell nach Hause, keine Zeit für irgendwas, heute ist das erste Training!
Eine Stunde vor Trainingsbeginn war ich schon längst fertig. Tasche gepackt, sauberer Gi, Gurt, Duschzeug nicht vergessen. Ich hielt es nicht länger aus und fuhr
los. Ankunft in der Halle, keiner da. Naja zieh dich schon mal um, es wird sicher gleich jemand kommen und ausserdem kann man dann gleich erkennen, was du machst. Die Eingangstür schepperte und
es kamen die ersten Interessierten. Junge Leute, klar, ältere Personen habe ich auch nicht erwartet.
Cool bleiben, dachte ich, lass dir die Aufregung nicht anmerken. Es kamen mehr und zu Beginn der ersten Stunde waren es 14 ahnungslose Leute.
Gedannken hatte ich mir immer wieder gemacht und geplant, wie die erste Stunde ablaufen soll.
Als ich mich der Gruppe vorstellte und erklärte, was sie jetzt gleich erwartete, war alle Planung vergessen, es lief einfach wie von selbst. Der erste Schweiß lief
mir den Rücken runter und ich war in meinem Element.
Nach dem Training kam das erste Kennenlernen, die Frage nach meinem Alter, Beruf und was sonst noch so interessierte. Auf das erste folgte das zweite Training und
das dritte u.s.w.
Mein ganz persönlicher Weg zum Karate:
Wir schreiben das Jahr 1984 – da war doch etwas? Ein gewisser George Orwell hatte darüber einen Roman verfasst. Er handelte in einem Staat , indem es die Möglichkeit gab so gut wie alles zu
überwachen und zu analysieren, was die Menschen so treiben.
Das diese Fiktion in gar nicht allzu langer Zeit ziemlich real werden würde, dachte ich an diesem trüben Samstag Nachmittag im Februar, wie
viele andere auch, natürlich nicht.
Ich wollte in gut vier Semestern mein Studium der Wirtschaftswissenschaften erfolgreich beenden. Außerdem saß ich an diesem Nachmittag an der eingedeckten Kaffeetafel meiner Eltern und
freute mich darauf, neben einer Tasse Tee noch ein weiteres Stück dieses leckeren Apfelkuchen, den meine Mutter gebacken hatte, einzuverleiben, als
diese sich an mich wandte und sagte:
„Kálmán, eure Volleyballabteilung ist doch leider aufgelöst worden. Der Sohn Markus, meiner Freundin Gerda, hat gerade in einem Sportverein in Winsen mit Karate angefangen, weiß aber nicht wie er dort hin und zurückkommen soll. Wäre das nicht auch ein Sport für dich?
Er wohnt ja auf deinem Weg, du könnest ihn dann mit dem Auto mitnehmen………………
Karate, klar, davon hatte ich schon etwas gehört. Da gab es vor Jahren eine englische Fernseh-Serie, die „mit Schirm, Charme und Melone…“ hieß. Dort war eine Agentin , die im hautengen,
schwarzen Lederdress zu sehen war und mittels gezielten Handkantenschlägen und Fußtritten bei Bedarf ausgewachsene Bösewichte reihenweise außer
Gefecht setzen konnte.
Ansonsten erschienen vor meinem geistigen Auge asiatisch aussehende Männer, klein, aber sehnig, gekleidet in weiten weißen Anzügen, die mit bloßen Händen harte Gegenstände wie Bretter
und Ziegelsteine, untermalt von martialischen Geschrei, gleichen reihenweise zerstören konnten.
Der Gedanke ließ mich etwas erschaudern. Gewiss, es würde sich sicherlich cool anhören, wenn man sagen konnte „ich kann Karate“. Auf der anderen Seite bin ich ein friedliebender Mensch und der
Weg, sich dermaßen abzuhärten, bis man in dieser Sportart oder auch Kampfkunst halbwegs gut unterwegs war, würde sicherlich nicht ohne diverse böse
Blessuren abgehen.
Auf der anderen Seite dachte ich mir aber auch: Was soll´s, du hast nichts zu verlieren! Schau es dir einfach an, wenn es dir nicht zusagt,
gehst du nicht wieder dorthin“.
Am darauffolgenden Montag um 18.30h fand ich mich also in einer Schulsporthalle in dem beschaulichen Städtchen Winsen/Luhe wieder.
Es umwehte mich der übliche Turnhallengeruch, eine Mischung aus kaltem Schweiß, Leder und den Kunststoffausdünstungen der wie immer dort lagernden, blauen, dünnen Turnmatten.
Schmucklos sah es aus. Anscheinend brauchten Karatekämpfer des HSV Stöckte nicht sehr viel, denn die Halle war, bis auf diejenigen Personen,
die sich wohl gleich dem Karate – Training widmen wollten, leer.
Vorher hatte ich mich in der Umkleidekabine umgezogen. Eine Jogginghose sowie ein T-Shirt sollten für´s erste reichen, so hatte man mir gesagt.
Es tauchten nach und nach respektheischende Gestalten auf, die sich mit ernsten Mienen ihre weißen Kampfanzüge anzogen und sich einen gelben Gürtel umbanden. Andere trugen organge-farbene oder sogar grüne Gürtel. Das waren alles sicherlich
Gestalten, die sich im Ernstfall zu wehren wussten, ging es mir durch den Sinn
Dann erschien ein Mann, Mitte dreißig/Anfang vierzig. Als er sich umzog, band, er sich einen schwarzen, an manchen Stellen fadenscheinigen,
Gurt um seine Taille:“…… vielleicht sollte der sich mal ein neues Exemplar leisten ..“, sagte ich innerlich zu mir.
Es handelte sich um den Trainer der Abteilung, bei dem ich mich kurz vorstellte und um Erlaubnis bat, am Training teilnehmen zu dürfen.
„Kein Problem“, sagte er ganz entspannt. „ Als erstes , wenn alle da sind, werden wir uns in einer Reihe aufstellen. Du stellst dich bitte ganz nach links ans Ende der Reihe – und dann
immer schön alles nachmachen, was die anderen tun…“
Die Leute sortierten sich nach Gurtfarben und stellten sich zum Trainingsbeginn brav nebeneinander. Mit meinen damals 25 Jahren schien ich so ziemlich der Älteste zu sein. Die anderen
bewegten sich altersmäßig so zwischen 12 und knapp über zwanzig Jahren. Männer und Jungs waren eindeutig in der Überzahl.
Anschließend sagte der vor der Reihe stehende Trainer etwas auf Japanisch. Alle knieten nieder und schwiegen und schlossen die Augen. Dann kam
wieder ein japanischer Befehl! Ich linste vorsichtshalber durch einen Spalt in meinen Augenliedern und bekam mit, dass alle die Augen wieder geöffnet hatten und sich nun noch einmal zum Trainer
verbeugten. Glück gehabt und schnell mitgemacht –wäre ja auch sonst peinlich gewesen, wenn ich dort mit geschlossenen Augen noch ein Weilchen sitzen geblieben und alle anderen schon längst wieder
aufgestanden wären.
Dann, nach einer nochmaligen Verbeugung im Stehen - ja, die Japaner schienen ein wirklich kultiviertes Volk zu sein- und schlugen wohl erst zu, nachdem sie sich höflich begrüßt hatten - wurde die Reihe etwas
auseinander gezogen und der Trainer begann mit Aufwärmübungen, die jeder nachzumachen hatte. So etwas war mir vom Volleyball bestens bekannt.
Nach gut 30 Minuten ging es dann mit dem eigentlichen Karatetraining los.
Die Reihe wurde weiter auseinandergezogen. Der Trainer sagte wieder damals für mich unverständliche Worte und zeigte eine Technik, die wie ein
spezieller Fauststoß aussah. Diese Technik hatten wir fünf Mal hintereinander auszuführen, wobei man auf eine für mich ungewöhnliche Weise nach vorn gehen sollte.. Man bewegte dabei das vordere
Bein in einer Art Halbkreis und stand dann mit dem Gewicht auf dem vorderen, im Knie gebeugten Bein.
Nun starteten wir, indem wir uns mit einer Art Armabwehr hinstellten und dann der Trainer japanisch zu Zählen anfing. Ich blickte unauffällig aus meinen Augenwinkeln nach rechts und
versuchte, ohne irgendwie unangenehm aufzufallen, so gut wie möglich mitzukommen.
Als wir dann die fünfte Technik durchführten, fing der eine oder andere am rechten Ende der Reihe an laut zu brüllen oder zu stöhnen –hatte sich da jemand weh getan?
Dann wurde gedreht und es ging in die Gegenrichtung. Selbst diese Art der Wende, die da praktiziert wurde, erschloss sich mir nicht gleich.
Ehrlich gesagt, fühlte ich mich etwas überfordert und dachte, bring die Trainingseinheit erst mal hinter dich, ohne dich groß zu blamieren. Der (Angst)schweiß lief mir den Rücken herunter.
Niemand lachte über meine unbeholfenen Bewegungen oder machte sich lustig über mich…………………….
Am Trainingsende fuhr ich mit gemischten Gefühlen nach Hause. Das war schon anspruchsvoll mit diesen Bein- und Armtechniken und dann noch verbunden mit den vielen japanischen
Fachausdrücken. Klar, der Trainer kam ab und zu zu einem und sagte kurz etwas Erläuterndes zu dem, was man da so durchzuführen versuchte. Ansonsten war man aber auf sich allein gestellt und
musste durch Abgucken vom Nachbarn lernen, der es hoffentlich besser konnte als man selber.
Trotzdem oder gerade deshalb, weil eben aller Anfang schwer ist, ging ich wieder zum Training. Wochen gingen ins Land, die Sache lief langsam runder. Zwischenzeitlich hatte ich Gelegenheit
den einen oder anderen aus der Karateabteilung näher kennenzulernen. Es waren natürlich normale
Menschen, wie ich auch, und keine seelenlosen Kampfmaschinen.
Nach gut vier Wochen trat ich in den Verein ein, kaufte mir einen preiswerte Karateanzug (Gi) und begab mich auf den Weg ein guter Karateka zu werden.
Zwischenzeitlich hatte ich dort einen ehemaligen Schulfreund getroffen, der immerhin schon einen
Grüngurt tragen durfte, und somit, neben dem Trainer, die höchste Graduierung besaß. Karle gab sich die Größte Mühe, mir das Karate mit allen seinen Aspekten näher zu bringen. Er betrieb die Sache mit der notwendigen Ernsthaftigkeit und Konsequenz (…“also dreimal pro Woche
Training muss schon sein, sonst kannst du dich nicht weiter entwickeln….) natürlich sah ich die Angelegenheit genauso!
Fortan bildeten wir eine Fahrgemeinschaft- das Training begann gleich nach dem Einsteigen ins Auto auf theoretischer Ebene. Die praktische Umsetzung erfolgte dann knallhart in der
Sporthalle.
Leider glänzte unser damaliger Trainer, aus Gründen die ich nicht kenne, häufiger durch Abwesenheit. In solchen Situationen trainierte Karle unsere Abteilung.
Im Sommer 1984 begegnete ich dann in der Umkleidekabine vor dem Training jemandem, der mein Karate-Leben nachhaltig beeinflussen und verändern
sollte. Er war gut zehn Jahre älter als ich, von kleiner Statur, aber sehr durchtrainiert und trug neben dem Vollbart einen braunen, schon etwas verblichen wirken Gürtel, nachdem er sich seinen
Gi angezogen hatte.
Als er in Rahmen der Eingangstür zur Halle stand, verbeugte er sich kurz, bevor er diese betrat.
Seine Erscheinung strahlte eine Art von Bescheidenheit gepaart mit unbedingtem Durchsetzungswillen aus.
Dieser Mann stellte sich uns als Peter Schmidt vor, der erst kürzlich aus Hamburg nach Winsen gezogen war und nun ein Dojo zum Trainieren suchte.
Schon nach dem zweiten oder dritten Training fragte unser Trainer, ob Peter nicht Lust hätte die Weiß- bis Gelbgurte zu trainieren.
Das ließ sich Peter nicht zweimal sagen!
Wir wurden korrigiert, korrigiert, korrigiert und gelobt, wenn wir erfolgreich waren.
Peter zeigte die Techniken, immer und immer wieder. Peter kombinierte Techniken. Vorwärts, rückwärts, seitwärts. Jetzt machte Karate immer mehr Spaß!
Und plötzlich war Peter nicht mehr beim Training. Der Mann, der immer erschienen war. Der Sportkamerad, der immer für den Trainer einsprang, wenn es sein musste! Der Peter, der uns beim
Training wirklich weiter gebracht hatte!
Karle und ich saßen deswegen eines Tages nach dem Duschen ratlos auf der Bank in unserer
Umkleidekabine. „Weißt du was, ich rufe Peter einfach mal an und frage was los ist!“, sagte ich.
Gesagt, getan -natürlich nicht gleich mit einem Smartphone, das ja heute jeder dabei hat- sondern ganz altmodisch mit Hilfe eines analogen
Festnetzapparats von zu Hause aus.
„Hallo Peter, ich bin es, Kálmán. Du kommst nicht mehr zum Training, bist du etwa ernsthaft
krank?
Hallo Kalli, kam es vom anderen Ende. Nö, mir geht es gut, aber ich werde nicht mehr zu euch kommen. Warum denn das nicht? Ach, weißt du, das ist ganz einfach, denn ich werde selber eine
Karate-Abteilung gründen……………………………………
In diesem Moment erlebte ich die Geburt der heute noch bestehenden Karate-Abteilung des damaligen SV/MTV Winsen v. 1850 e.V!
Diese Neuigkeit berichte ich sofort meinem Freund Karle. Für uns war klar: Wenn wir richtig Karate lernen wollten, mussten wir in Peters Abteilung wechseln.
Das erste Training fand in der zwischenzeitlich abgebrannten Jahn-Halle statt. Da es außer Karle und mir noch keine weiteren Mitglieder gab,
lud Peter einige Karateka aus seinem alten Verein aus Hamburg ein. Natürlich hatte er die Presse vorab informiert.
Damals sorgte so etwas noch für Aufsehen. Judo war bekannt, Karate weniger. Der Winsener Sportverein verfügte nun über zwei Kampfsportabteilungen (Judo und Karate)!
Am 01.01.1985 wurden mein Freund und ich Mitglieder der neu gegründeten Karate-Abteilung des Winsener Sportvereins.
Monate intensiven Trainings gingen ins Land. Die Anzahl der Mitglieder wuchs stetig. Zu diesem Zeitpunkt war das Freizeitangebot für junge Leute längst nicht so groß wie jetzt.
Kampfsportfilme wie z.B, Karate Kid , Bloodsport u.a. kamen in die Kinos und trieben junge Leute in die Sporthallen, die begierig darauf waren, so etwas zu lernen.
Und Peter zog alle Register. Es wurden Lehrgänge, Prüfungen, interne Wettkämpfe und wenig später legendäre Sommerpartys und Weihnachtsfeiern
veranstaltet.
Die Trainingstage in der Woche waren gut besucht. Zwischen 25 und 40 Personen standen zeitweise in den Turnhallen. Eine Anzahl Aktiver, die heute das Volumen unseres Dojos sprengen würde.
Und plötzlich, an einem dunklen Mittwoch Abend im Oktober, wir stehen im Gi vor dem Eingang zur Hallentür der Realschule und warten wie immer darauf, dass die Aerobic-Abteilung das Training
beendet (eine Augenweide), höre ich, wie der neben mir stehende Peter von einer weiblichen Stimme
angesprochen wird….“sind Sie Herr Schmidt?“………
Peters Mundwinkel gehen schlagartig nach oben, denn vor ihm steht eine dunkelhaarige gut aussehende junge Frau – und fragt, ob sie mal beim Training mitmachen dürfte!
„Aber natürlich, im Übrigen sind wir hier per Du, ich heiße Peter“ – „ ähm und ich bin übrigens Kálmán!“
Mein Blick versinkt für Sekunden in dunkele mandelförmige Augen meines eindeutig weiblichen Gegenübers..
Was soll ich sagen? Ein gutes Jahr später sind wir (also Catrin und ich) zusammengezogen. Knapp drei Jahre später haben wir geheiratet und lieben uns noch immer.
Zukünftig ging es also zusammen zum Training gemäß dem Motto „sie liebten und sie schlugen sich“.
Es sollte in Folge nicht die einzige Ehe sein, die ihren Ursprung in dieser Abteilung hatte – Dating-Portale waren, zumindest damals, vollkommen überflüssig.
Daneben wurden auch tiefe Freundschaften gegründet, die zum Teil bis heute anhalten.
Aber natürlich besteht das Leben nicht nur aus Karate. Es wurde unser erster Sohn geboren und ich musste auch etwas für mein berufliches Fortkommen tun.
Catrin konnte nun nicht mehr trainieren und bei mir wurden die Arbeitstage immer länger , die
Trainingsteilnahmen immer weniger und unregelmäßiger.
Eines Tages machten wir ein Partnertraining mit einer anspruchsvollen Angriffs- und Verteidigungskombination, die mir immer und immer wieder misslang.
Ich fuhr nach Hause und sagte meiner Frau, dass ich mit dem Karatetraining aufhören würde. Es war das Jahr 2001 –mein Karateweg war hier zu Ende. Ich kündigte meine Mitgliedschaft und
stelle meine Sporttasche mit dem frisch gewaschenen Gi in die hinterste Ecke des Kleiderschranks.
Ja, Sport war wichtig, gerade dann wenn mein einen stressigen Job hat. Da wäre doch Laufen das richtige. Das kann man immer machen, wenn die Gelegenheit sich ergibt. Also begann ich 10km
und Halbmarathon zu laufen und ich lief, fast 15 Jahre………………….bis zu einem Tag im Oktober 2014:
Ich sitze nichtsahnend in der Küche. Mir gegenüber, meine liebe Frau und mein zweiter Sohn Niclas, damals 14 Jahre alt.
„Du, Kalli, sagte Cati zu mir. Übrigens, ich fahre morgen mal mit Niclas nach Winsen. Der Karateverein macht ein Anfängertraining. Da möchte
Niclas mal mitmachen und sehen, ob ihm das zusagt.“
„Leitet Peter noch das Training?“, fragte ich. „Nein, sagte meine Frau, ich habe gehört, dass er sich aus gesundheitlichen Gründen leider zur Ruhe setzen musste. Rudolf Preuss ist jetzt der
Dojo-Leiter“.
Ich konnte mich an Rudi Preuss gut erinnern. denn ich war ihm, als er mit 14 oder 15 Jahren mit dem Karate bei uns begann, häufig beim Training
begegnet.
Damals fielen mir schon sein Ehrgeiz und seine Begabung auf. Er lernte sehr schnell. Seine Techniken hatten Kraft , Schnelligkeit und Eleganz, genau wie bei einem anderen , ungefähr
gleichaltrigen jungen Mann, der Carsten Friedrich hieß. Was ich mit viel Fleiß hart erarbeiten musste, fiel diesen Bengels anscheinend leicht.
Nur etwas mehr Disziplin hatte der junge Rudi zeitweise nötig – einmal musste er deswegen sogar vom Training suspendiert werden!
Beide waren inzwischen Dan-Träger. Peter konnte stolz auf seine Leistung als Trainer sein, dachte ich.
Es gibt meiner Meinung nach nichts Schöneres, als wenn man als Trainer später von einem seiner Schüler irgendwann „überholt“ wird.
„Gute Idee“ , antwortete ich – und ahnte nicht, was das noch für Folgen für mich haben sollte!
Donnerstag, gleicher Ort ähnliche Uhrzeit:
Ich frage: „Na, wie war es denn? Antwort meiner Frau: Mensch Kálmán, da laufen doch tatsächlich noch ein paar aus der alten Garde herum. Ich
konnte mich kaum auf der Bank halten und hätte am liebst gleich mit trainiert. Also Freitag trete ich mit Niclas da zusammen an“.
Ich war wie vom Donner gerührt. Das konnte doch nicht wahr sein. Meine Familie wollte Karate trainieren und das ohne mich!!!!!!!! Das ging überhaupt nicht!
„Also, wenn das so ist, komme ich auch mit. Irgendwo muss doch im Schrank noch die Sporttasche sein….“
Freitag 18.10h:
Ich betrete mit der Sporttasche in der Hand die noch leere Umkleidekabine. Es riecht nach Duschgel
und durchgeschwitzter Sportkleidung.
Nachdem ich mich umgezogen habe , begebe ich mich zum Eingang des Trainingsraums und verbeuge mich. Als ich wieder aufschaue, sieht mich ein
leicht grau melierter Mann überrascht an,
er trägt einen ganz abgewetzten Schwarzgurt – Rudi der Sensei…………………………..ich bin wieder zuhause !
Kálmán